Die neueste Version der ERP-Produktreihe SAP S/4 HANA wurde vor kurzem von SAP veröffentlicht. Wer sich mit dem neuen Produkt beschäftigt muss sich die Frage stellen: Welche Rolle spielen Systemhäuser heute noch im Beratungsdschungel. Matthias Weber spricht mit der All for One Steeb AG über das Thema.
Systemhäuser als Technologieübersetzer – wo geht die Reise hin?
Befinden Sie sich eigentlich in einem Konflikt, wenn Sie Kunden und Anwender bestmöglich beraten und dabei gleichzeitig die eigene Gewinnmaximierung vor Augen haben müssen?
Nein, für uns stellt das in keiner Weise einen Konflikt dar, da wir durch unsere Beratungsleistung und unsere spezialisierten Lösungen für Kunden und Anwender ja auch echte Mehrwerte schaffen. Zudem sind wir ein wirtschaftlich unabhängiges Unternehmen. Wir sprechen Empfehlungen aus, die unsere Kunden weiterbringen und von denen wir überzeugt sind, dass sie auch funktionieren. Das gilt natürlich auch für die Einführung von SAP S/4 HANA.
SAP S/4HANA wurde von SAP als neues Produkt vorgestellt und vermarktet. Doch viele Anwender sehen es eher als Release oder Upgrade des bisherigen ERP-Systems. Wie bewerten Sie das?
SAP S/4HANA bietet auch aus unserer Sicht sehr viele Mehrwerte für den Mittelstandskunden. Es unterscheidet sich insbesondere bei der Produktphilosophie von SAP ECC, weil
Datenbank und Applikation völlig neue Möglichkeiten bieten. Im SAP ECC können die Anforderungen, die man heute durch die Digitalisierung hat, nicht oder nur mit hohem Aufwand abgebildet werden. Des Weiteren hat S/4HANA viele technologische Vorteile wie z.B. dieselbe Codeline bei Onpremise und Cloud-Systemen, was die Wartung deutlich reduziert. Es ging nicht darum, ein Produkt zum Selbstzweck zu schaffen, sondern darum, aktuelle und zukünftige Bedürfnisse abbilden zu können.
Stichwort: Innovators Dilemma – mit der Weiterentwicklung eines Produkts stößt man irgendwann an seine Grenzen. Deshalb ist SAP S/4HANA kein neues Release sondern ein neues Produkt.
Haben Systemhäuser wie die All for One Steeb überhaupt einen Einfluss auf SAP bei der Weiter- oder Neuentwicklung von Produktlösungen?
Als größtes SAP-Beratungshaus für den Mittelstand im deutschsprachigen Raum genießen wir die Situation, direkten Kontakt zum Hersteller zu haben und gemeinsam mit der SAP entwickeln zu können. Uns und der SAP geht es dabei um eine Partnerschaft. Das heißt, wir spielen die Erfahrungen, die wir mit unseren Kunden machen an den Hersteller und dieser verarbeitet diese Informationen und optimiert gemeinsam mit uns im Sinne der Kunden. Zudem veredeln wir die Produkte durch eigene Lösungen, Methodik und Prozesse.
Partner zeichnen sich in der Regel durch Projektberatung und Softwareanpassung aus. Mit den Standardisierungsprozessen in Verbindung mit der Cloud werden Individualisierungsansätze und Beratungen doch aber gezwungenermaßen überflüssig oder nicht?
Die Cloudprodukte sind aktuell noch nicht so weit, die individuellen Bedürfnisse abzudecken. Außerdem werden Anforderungen an Prozesse immer komplexer und agiler. Mit unserer Geschäftsprozessbibliothek, mit der man irgendwann Geschäftsprozesse für sein ERP direkt aus der Cloud kaufen können soll, setzen wir auf dem Konzept der Best Practices der SAP auf und optimieren für den Mittelstand. Also auch wir versuchen zu standardisieren. Bei hochkomplexen und agilen Prozessanforderungen in den unzähligen Branchen sehen wir aktuell aber noch keine 100%ige Möglichkeit der Standardisierung. Daher wird eine Anpassung immer teilweise notwendig sein.
Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht es mit der Entwicklung individueller Anpassungen aus, beispielsweise mit der Integration von 3D-Brillen in Lager und Logistik oder der Integration mobiler Bezahlsysteme oder ähnlichem. Kann man da als Anwender und Systemhaus auf die langwierigen Entwicklungszyklen warten oder muss man schneller sein?
Wir sehen uns hier als Innovator für unsere Kunden in deren Branchen und führen ständig Innovationsgespräche mit ihnen. Wir bewerten die Trends und entwickeln diese zu Standards. Um eine hohe Innovationsgeschwindigkeit zu ermöglichen, braucht es aber eine technologische Plattform wie Azure oder die SAP Cloud Plattform. Was man auch in keinem Fall vergessen darf, wenn man sich die Frage stellt, wohin die Reise geht ist, dass Unternehmen durch die Digitalisierung ganz neue Anforderungen an Prozesse haben. Denn durch den digitalen Wandel entstehen komplett neue Geschäftsfelder. Unsere Rolle als SAP-Systemhaus ist es folglich, die Software optimal den Branchenanforderungen anzupassen. SAP S/4 HANA fungiert dabei als digitaler Unternehmenskern.
Das Interview wurde schriftlich mit All for One Steeb AG geführt.